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Unsere Mutter ist in St. Moritz aufgewachsen. Ihre Eltern, meine Grosseltern waren Peter Müller und Magdalena (Leni) Kindschi-Müller. Durch einen Stellenwechsel von unserem Neni, er wurde Geschäftsleiter in einem Elektrofachgeschäft, zog die Familie zuerst zum Punt da Piz. Da, in der Nähe des Inn-Falls, kam meine Mutter und zuletzt noch das Nesthäkchen, meine Tante Elsi zur Welt. Damit waren sie eine Familie von 10 Personen.

Entgegen der landläufigen Meinung, dass in St. Moritz alles nur reiche Menschen wohnen, war die Familie Müller nicht auf Rosen gebettet. Nachdem im Punt da Piz der Platz zu eng wurde für die ganze Schar zog die Familie zuerst ins Haus Parolini in St. Moritz-Bad, danach in die Milchhalle in St. Moritz-Dorf.

Meine Mutter hat zu Lebzeiten noch die Geschichte ihrer Kindheit aufgeschrieben. Diese werde ich bald einmal in diesem Blog veröffentlichen. Denn es ist die Geschichte, die viele Menschen in dieser Zeit in ähnlicher Weise erlebt haben. Auch hat sie uns immer wieder Geschichten aus dem „alten“ St. Moritz erzählt. Unter anderem die vom Rehli Fin. Deshalb komme ich auf den heutigen Blog.

Die Künstlerin in St. Moritz

Ich möchte über einen Menschen, eine Künstlerin, schreiben, welche mich als Kind sehr stark beeindruckt hat. Ich hatte die Chance, als 9jähriger Bueb Mili Weber (1891 – 1978) kennenzulernen. Mili Weber war zu dieser Zeit schon sehr gebrechlich, beinahe blind. Aber trotzdem spürte man eine sehr zufriedene Energie von ihr ausgehen. Beeindruckt hat mich Ihr Umhang und das schlohweisse Haar. Ich bin noch heute sehr stolz und froh, dass ich diese spannende Frau noch kennenlernen durfte. Was mich auch sehr gefreut hat, ist, dass Mili Weber meine Mutter gekannt hat, sie konnte sich noch gut an das „Mödeli Müller“ erinnern – so war meine Mutter in St. Moritz bekannt.

Das Mili Weber Haus

Das Haus wurde im 1917 durch den Bruder Emil Weber erbaut. Er arbeitete bei Nicolaus Hartmann, Architekt in St. Moritz. Die Familie Hartmann gehören zu den wichtigsten Vordenkern und Vertretern des Heimatstils in Graubünden. Das Buch „Baumeister in Graubünden“ von Kristiana Hartmann wirft ein Licht auf drei Generationen Nicolaus Hartmann ( I: 1799-1881 / II: 1838 – 1903 / II: 1880 – 1956). Buchbesprechung von 2015 in der Zeitung Südostschweiz.

In Mili Weber’s Familie hatte es verschiedene Künstler. Ihre 19 Jahre ältere Halbschwester, Anna Haller, hat z.B. mit dem Bruder von Mili die Lederschnittarbeiten an den Ständeratssitzen im Parlementsgebäude in Bern gemacht. Zuerst machte Mili eine Ausbildung als Kindergartenlehrerin. Der Zeichenlehrer ermunterte sie dann zu malen „Kindergärten können viele leiten, aber so wie Du zeichnen können nur wenige“, meinte er. Durch ihre grosse Schwester kam Mili in Kontakt mit Julius Vögtli, einem Künstlerfreund. Die prägendste Lehrerin aber war Anna Haller selber.

Die Münchner Jahre

Im München besuchte Mili eine Mal-Akademie, was damals nicht so einfach war. Die Kunstakademie war für Frauen nicht zugänglich. Die Malschule von Heinrich Knirr nahm sie dann uns die Fittiche. Knirr selber erkannte Talent und Begabung seiner Schülerin. Er sagte voraus, dass sie entweder Portraits oder Märchen malen würde. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges im 1914 kehrten die beiden Schwestern zurück nach St. Moritz.

in St. Moritz

Das bescheidene Haus der Familie Weber im Dim Lej ist eine Mischung von Engadiner- und Walser-Stil. Von aussen war es ein sehr unspektakulärer Bau. Im Innern ist es jedoch sehr speziell. Das architektonische Konzept mit der geschickten Raumaufteilung auf verschiedenen Ebenen, den gewölbten Decken und den schön gearbeiteten Einbauschränken weist Bruder Emil als Könner aus.

Bis zu ihren Tod arbeitete Mili Weber in St. Moritz. Und zwar in und am Haus. Ihr Hauptwerk besteht aus Aquarellen, Kinderbilder mit Blumen. Sie schrieb Geschichten und komponierte Lieder, sogar ein Oratorium.

Die Tiere

Eine spezielle Beziehung hatte sie zu den Tieren des Waldes, speziell zu Reh und Hirsch, zu den Eichhörnchen und all den Vögeln. Unsere Mutter hat uns die Geschichte vom „Rehli Fin“ vorgelesen. Ein verletztes Rehkitz, welches Mili pflegte und fütterte. Später, und sogar bei meinem Besuch in der Kindheit, fütterte sie hinter dem Haus immer noch Tiere. Als ich zum Fenster hinausschaute kam gerade ein Hirsch zum Haus, welcher sich an den von ihr bereitgelegten Köstlichkeiten gütig tat. Einzelne Hirsche waren, zumindest bei Mili, nicht scheu und liessen sich sogar streicheln. Ihre aussergewöhnliche Art, mit Tieren und Pflanzen umzugehen, spiegelt sich auch in den Geschichten und den Aquarellen.

Das Mili-Weber-Haus

Das heute „Mili-Weber-Haus“ genannte Haus ist ein Museum. Eigentlich katapultiert einem der Eintritt in das Haus in eine Wunderwelt. Das Haus ist ein Gesamtkunstwerk. Es gehört der Gemeinde St. Moritz und wird von einer Stiftung gepflegt. Führungen sind auf Anfrage möglich. Wer in St. Moritz ist: nehmt Euch unbedingt die Zeit, das museale Zuhause von Mili Weber zu besuchen!

In einem Zimmer steht eine raumfüllende Puppenstube. Diese erzählt die Geschichte einer Fürstenfamilie. Mili hat alles mögliche in diesem Werk verarbeitet. Man könnte allein für dieses Werk Stunden aufwenden und hätte nicht alles realisiert. Die Decke darüber ist mit den 4 Jahreszeiten bemalt. Es gibt auch ein Bärenzimmer mit einer Hausorgel, woran Mili Musik spielte und komponierte.

Meine Erinnerungen

Wie schon mehrmals erwähnt, erlebte ich Mili Weber noch kurz vor ihren Tod. Ich durfte das wunderbare Haus noch sehen solange die Künstlerin darin lebte.

Vor einigen Jahren ging ich mit meinem Mann nach St. Moritz. Eine Zeitzeugin, eine Schulkollegin meiner Mutter, führte uns in einer privaten Führung durch die Wunderwelt der Mili Weber. Es war sehr bewegend, denn wir hörten Geschichten von Mili Weber von einer Nachbarin. Da sie auch im Dim Lej aufgewachsen ist, konnte sie uns sehr viele Anekdoten erzählen, die von dieser spannenden Künstlerin handelten.

Die Stiftung Mili-Weber-Haus hat zumindest bis zu diesem Moment nach wie vor die Tiere hinter dem Haus gefüttert und so das Vermächtnis von der Künstlerin und dem Rehli Fin bewahrt.