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Als Kinder mussten wir immer in die Cevi-Lager. Natürlich gab es da Wettbewerbe, vor allem sportlicher Art. Ich war immer ein kleines (oder eher grösseres) Pummelchen. Konnten die Gruppen zusammengewählt werden – ich war sicher immer letzte Wahl. Mussten wir um die Wette rennen – ich war immer der letzte (sofern ich überhaupt ins Ziel gekommen bin). Aber ich war trotzdem immer dabei.

Der Ur-Sprung

Etwas was ich aber nie vergessen habe, ist in einem Lager in Sedrun passiert. Ich habe einen Preis erhalten. Nein, nicht dass nun jemand meinen könnte, ich wäre im Sport ausnahmsweise über mich hinausgewachsen, das wäre wirklich sehr überraschend gewesen. Ganz im Gegenteil. Meine Mutter hat mir das später erklärt (da ich es zuerst nicht verstand): ich wurde bei einem sportlichen Wettkampf als Letzter gewertet. Aber im Gegensatz zu meinen 20 Kameraden hatte ich Freude, teilgenommen zu haben. Ich war zufrieden. Ein stolzer Sieger, 18 Enttäuschte, da nicht sie zuoberst auf dem Siegertreppchen gestanden sind, und ich. Mein damaliger Leiter war so beeindruckt, dass er mir denselben Preis gab, wie ihn auch der Gewinner erhalten hat. Notabene war dies leider eine Ausnahme, die ich zwar nie vergessen werde, die sich aber auch nie wiederholt hat.

Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, nicht zuvorderst sein zu wollen/müssen. Mit einer Körpergrösse von 192 cm bin ich eh nicht gerade kurz gewachsen, ein Spargel-Tarzan war ich früher auch nicht gerade, eher ein massiver Baumstamm. Also, wenn ich an vorderster Stelle gewesen wäre, dann hätten ja die anderen Menschen hinter mir nichts mehr sehen können. Aber ich ebenso! Warum ich? Seit je her geniesse ich es, Menschen zu beobachten. Wie sie laufen, wie sie sich verhalten, was sie tun und wie sie es tun. Wäre ich nun vorne, könnte ich diese Menschen ja gar nicht sehen! Bin ich aber im Hintergrund, fühle ich mich sehr wohl. Einerseits kann ich die Menschen, die sich vor mir befinden, beobachten – andererseits kann ich auch ein wenig steuern und wachen. Es war schon manchmal ein Segen für andere, wenn ich sie aufgrund einer kommenden Gefahrensituation warnen konnte. Das macht mich zufrieden.

Gehe ich in ein Restaurant, dann liebe ich es auf dem Bänkli zu sitzen, am liebsten dann, wenn ich das ganze Restaurant überblicken kann. Wer kommt rein, wer geht raus, wie sehen die servierten Speisen aus? Alles im Überblick. Das macht mich zufrieden.

Gehe ich in ein Kino, sitze ich (von Vorteil für die anderen Kinogänger) in der letzten Reihe. Ich habe so die ganze Leinwand im Blick und, falls ich Untertitel lesen muss, habe ich nach dem Film kein Halsweh, da ich den Kopf nicht permanent nach dem Text drehen muss. Das erfreut mich ungemein, macht mich zufrieden.

Der Über-Blick

Heute habe ich mit einem Freund gesprochen. Er hat mir erzählt, er sei auf der Suche nach einer Arbeitsstelle. Er wisse nun nicht, was er machen solle. Alle reden nur vom Lohn. Er hätte nun eine Stelle im Blick, welche ihm gefallen würde. Leider sei da aber der Lohn nicht ganz so hoch wie er heute verdienen würde. Ich habe ihm dann folgendes auf den Weg mitgegeben, damit er darüber nachdenken kann:

Manchmal steht man vor der Mauer einer Entscheidung, man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Dann geh einen oder zwei Schritte zurück. Danach hast du wieder einen Überblick und kannst entscheiden, welche Richtung du einschlagen willst. Der Lohn sollte da nicht das Argument sein, sondern ob man an der richtigen Arbeitsstelle ist, ob man zufrieden ist.

Viele Menschen stehen in diesen Wochen vor einer Mauer. Ich wünsche allen, dass dieser erzwungene Schritt zurück ihnen auch eine Weitsicht eröffnet. Eine neue Sicht auf etwas, was man sicher zu haben glaubte. Es ist das Glück des Lebens, dass wir gerade hier in der Schweiz leben dürfen. Ich wünsche, dass auch sie zufrieden werden und bleiben.